Zum Nachdenken

     
         

Die Sorgen der anderen

Es gab eine Zeit, da war ich mit meinem Schicksal recht unzufrieden. Mir ging es schlechter als allen anderen. Meine Schmerzen waren unerträglich, jede Bewegung fiel mir schwer. Ich konnte meine Kinder nicht mehr ausreichend versorgen und mein Mann ging mir aus dem Weg.

Eines Nachts, nach meinen verzweifelten Gebeten, erschien mir mein Schutzengel und befahl mir alle meine Schmerzen, Sorgen und Nöte in einen Sack zu werfen. Der Sack war kaum groß genug. Dann nahm mich der Engel bei der Hand und führte mich in den Himmel. In der anderen Hand trug ich schimpfend und stöhnend meinen Sack.

Oben angekommen staunte ich nicht schlecht. Den Himmel hatte ich mir wahrlich ganz anders vorgestellt. Die Wolken waren alles Sorgensäcke. Auf dem größten saß ein alter aber sehr würdiger Herr. Der allwissende Herr. Er wusste auch von meinen Plagen - hatte ich doch laut genug gebetet und geflucht. Er gebot mir meinen Sack abzustellen. Ich durfte alle anderen öffnen und hineinschauen, musste mich aber für einen entscheiden und ihn in
mein Erdenleben mit zurücknehmen.

Alle Sorgensäcke wurden von mir aufgemacht. Ärger, Probleme, Langeweile, Ängste, bedrängende Probleme und vieles mehr kamen zum Vorschein. Viele dieser Dinge kamen mir fremd vor, andere bekannt, von manchen wusste ich nicht so recht was ich von ihnen halten sollte. Mühsam arbeitete ich mich durch die Wolken hindurch bis ich zum letzten Sack kam. Diesen öffnete ich, bereitete den Inhalt aus und erkannte, dass es mein eigener war. Als ich den Sack aber hob, kam er mir viel leichter vor, mehr noch: meine Sorgen sorgten mich nicht mehr, meine Schmerzen schmerzten mich nicht mehr. Statt dessen sah ich reale Missstände, objektive Notstände und vor allem lohnende Ziele.




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